K. Oschem u.a. (Hrsg.): Karl der Kühne von Burgund

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Titel
Karl der Kühne von Burgund. Fürst zwischen europäischem Adel und der Eidgenossenschaft


Herausgeber
Oschema, Klaus; Rainer C. Schwinges
Erschienen
Zürich 2010: Neue Zürcher Zeitung - Buchverlag
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Bastian Walter, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Der Band präsentiert die Ergebnisse einer Tagung, welche die beiden Herausgeber Klaus Oschema und Rainer Christoph Schwinges in Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum Bern im Frühjahr 2008 veranstaltet haben. Anlass war die Ausstellung Karl der Kühne (1433 –1477). Kunst, Krieg und Hofkultur im Historischen Museum Bern, die nicht nur dort, sondern später auch in Brügge und Wien zahlreiche Besucher anzog. In sechs weitgespannten Sektionen untersuchen achtzehn Autoren – allesamt renommierte Experten für das von ihnen behandelte Ressort – den Aktionsradius Karls des Kühnen «zwischen europäischem Adel und der Eidgenossenschaft», wie bereits der Untertitel des Bands andeutet.

Nach einer konzisen Einführung der beiden Herausgeber werden zunächst die politischen Rahmenbedingungen des 15. Jahrhunderts ausgelotet. Während Werner Paravicini sich mit dem konfliktgeladenen Verhältnis zwischen Frankreich und Burgund aus der Perspektive Frankreichs beschäftigt und die intensiven Bemühungen der französischen Krone beschreibt, Burgund nicht zu mächtig werden zu lassen, wendet sich Guy P. Marchal den mitunter divergierenden Einzelinteressen der Eidgenossen im Verlauf des 15. Jahrhunderts zu, die sie zwar situativ in Interessenkoalitionen gegen einen gemeinsamen Gegner – in diesem Fall Karl der Kühne –, doch nicht auf Dauer haben zusammenarbeiten lassen.

Sodann wird aus unterschiedlichen Perspektiven der «Mensch Karl» und die ihn prägenden Einflüsse in den Blick genommen. Klaus Oschema konzentriert sich auf dessen bisher nur ansatzweise untersuchten Jugend- und Ausbildungsjahre, die er als Basis für dessen spätere Entwicklung ansieht. Monique Sommé wendet sich den Frauen im Umfeld des Herzogs zu, die sie als wichtige Schlüssel zum Verständnis seiner Person bewertet. Mit seiner «Heldenwelt» beschäftigen sich Birgit Franke und Barbara Welzel, die neben seiner Bildsozialisation auch dessen gezielte Bildpolitik in den Fokus nehmen, die sowohl ihn selbst als auch die Empfänger der von ihm in Auftrag gegebenen Kunst zu einer bestimmten Politik verpflichtet hätten. Zuletzt beschäftigt sich Malte Prietzel mit den diametral entgegengesetzten historiografischen Erinnerungen an die wichtigsten Schlachten der Burgunderkriege von burgundischen und eidgenössischen Chronisten.

Die darauffolgenden Beiträge drehen sich allesamt um unterschiedliche Aspekte der herzoglichen Politik. Den Anfang macht Martin Kintzinger, der in seiner Untersuchung der Aussenpolitik Karls des Kühnen dessen Streben nach Souveränität als Leitmotiv ausmacht, das auch in seinem Bildprogramm, das ihn als Cäsaren darstellte, ausgedrückt werde. In die gleiche Richtung deutet auch Heribert Müllers Beitrag, der die Bemühungen des Burgunders um eine Königs- bzw. Kaiserkrone vorstellt und so den Blick auf die schwierige Position Burgunds zwischen dem Reich und Frankreich lenkt. Sonja Dünnebeil behandelt die Instrumentalisierung des Ordens vom Goldenen Vlies seitens des Herzogs, der in diesem ein wichtiges politisches Herrschaftsinstrument gesehen habe, um einerseits den Adel zu disziplinieren, andererseits politische Bündnisse zu festigen. Während Marc Boone das schwierige Verhältnis zwischen Karl dem Kühnen und den flandrischen bzw. oberrheinischen Städten und dessen verstärkte Zugriffsversuche auf sie betrachtet, stellt Arnold Esch zuletzt den Herzog und die Burgunderkriege aus der Perspektive der Stadt Bern in den Mittelpunkt seiner lebendigen Ausführungen.

In den daran anschliessenden Beiträgen geht es um die Kultur am Hof des burgundischen Herzogs. Zunächst beschreibt Dagmar Thoss ihn als bibliophilen Mäzen, bei dem wie sonst nur selten die enge Verbindung zwischen Auftrag und Ausführung von Kunstwerken nachgewiesen werden könne. Demgegenüber richtet Odile Blanc den Blick auf seine Kleidung und kommt bei näherer Betrachtung zum Schluss, dass, wenngleich er sich bei der Farbwahl stark an seinem Vater Philipp dem Guten orientiert habe, doch einen eigenen Stil entwickelt habe. In seinem kirchenbaugeschichtlichen Beitrag gibt Peter Kurmann daraufhin einen Einblick in die zeitgenössische niederländische Sakralbaukunst und zeichnet nach, wie sich diese im Bild «Kirchenmadonna » des Jan van Eyck wiederfinden lässt. Im letzten Beitrag stellt Karl-Heinz Spieß in einer Untersuchung der Funktion des herzoglichen Schatzes fest, dass dessen Instrumentalisierung als politisches Medium zeitgenössisch sei und diesbezüglich kaum Unterschiede im Umgang mit dem Schatz zwischen ihm, seinem Vater und anderen hohen Herrschaftsträgern im 15. Jahrhundert auszumachen seien.

Die folgenden Beiträge setzen sich mit dem Nachleben und Nachwirkungen des Herzogs auseinander und werden von den historiografiegeschichtlichen Überlegungen Claudius Sieber-Lehmanns eingeleitet. Indem er zunächst die zahlreichen negativ konnotierten Beinamen des Herzogs vorstellt, fordert er durch seinen Vergleich Karls und dessen Politikstil mit Machiavellis «Principe» dessen historiografische Neubewertung, die losgelöst von Stereotypen sein müsse. Der Beitrag von Christoph Brachmann stellt daraufhin das Nachleben des Herzogs in der Propaganda des lothringischen Hofs vor. Demnach lassen sich in Lothringen unmittelbar nach dessen Tod 1477 auf dem Schlachtfeld von Nancy bis ins 19. Jahrhundert hinein Spuren finden, die auf eine Instrumentalisierung des Siegs über Burgund hindeuteten und wichtig für das Selbstverständnis Lothringens gewesen seien. Demgegenüber hatten einige eidgenössische Autoren vom 16. Jahrhundert an mitunter erhebliche Schwierigkeiten mit dem Sieg ihrer Vorfahren gegen Burgund, wie André Holenstein im abschliessenden Beitrag des Bandes feststellt. Für sie sei der Sieg gegen Burgund eine Art «Sündenfall» gewesen, der eine Reihe von internen Spannungen zur Folge gehabt habe. Auch die nationale Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts habe in den Burgunderkriegen den massgeblichen Grund der bewussten Entscheidung der Schweiz für eine Politik der Neutralität gesehen, weswegen sie als eine Art negativer Mythos in das kollektive Gedächtnis des Landes eingegangen seien.

Dass der Band über ein Personen- und Ortsregister verfügt, ist genauso positiv hervorzuheben wie die Tatsache, dass sich die Beiträge allesamt einer guten Lesbarkeit erfreuen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit den versammelten Beiträgen das Bild des letzten Herzogs von Burgund um zahlreiche neue Aspekte erweitert wird. In ihrer Einführung betonen die beiden Herausgeber, sie wollten den «Prozess der ständigen Neudeutung der schillernden Figur [Karls des Kühnen] vielleicht in weitere Bewegung bringen» (S. 17). Dieses Ziel wurde vollumfänglich erreicht; künftige Forschungen werden an diesem gewichtigen Band nicht vorbeikommen.

Zitierweise:
Bastian Walter: Rezension zu: Oschema, Klaus; Schwinges, Rainer C. (Hrsg.): Karl der Kühne von Burgund. Fürst zwischen europäischem Adel und der Eidgenossenschaft. Zürich, Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2010. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 73 Nr. 2, 2011, S. 50-52.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 73 Nr. 2, 2011, S. 50-52.

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